U.v.Beckerath

(V/K) 24.7.24.

 

UEBER BARGELDLOSE ENTLOHNUNG.

 

Der "vertikale" Zusammenschluss der Industrie hat nicht nur erhebliche technische Vorteile, sondern gerade in gegenwaertiger Zeit auch solche, rein kommerzieller Art, an die man frueher gar nicht gedacht hatte. Wenn z.B. ein Trust eine Maschinenfabrik, eine Eisengiesserei, eine Eisengrube und ein Kohlenbergwerk besitzt, so werden diese technisch voneinander ganz getrennten Werke doch unter einem Trust anders zusammen arbeiten, als wenn es selbststaendige Unternehmungen waeren. Was jetzt eine verhaeltnismaessig einfache Aufgabe der Fabrikorganisation ist, naemlich die Versorgung der Maschinenfabrik mit Rohstoffen und Halbfabrikaten, waere, wenn die Unternehmungen getrennt waeren, nur durch ein kompliziertes gegenseitiges Kreditgeben moeglich, das jeden Tag durch das Versagen einer Bank in Frage gestellt werden kann. Man koennte sich nun sehr wohl vorstellen, dass der Trust nicht nur Montanindustrie betreibt, sondern auch Landwirtschaft mit ihren verschiedenen Nebengewerken. und dass er ausserdem noch Handwerker beschaeftigt. Eine solche Organisation soll hier nicht etwa empfohlen oder eingehend beschrieben werden; es handelt sich vorlaeufig nur darum, ein Schema zu gewinnen. Theoretisch waere es moeglich, dass ein solcher Trust alles, was zu seiner Versorgung einschliesslich des Unterhalts seiner Arbeitnehmer erforderlich ist, selbst erzeugt. Fuer einen solchen Trust wuerden die gegenwaertigen Schwierigkeiten der Beschaffung von Geld fuer die Lohnzahlungen nicht bestehen. Die Lohnzahlung waere hier ebenfalls ein Problem der Fabrikorganisation oder, genauer ausgedrueckt, ein Verteilungsproblem, wie es in aehnlicher Weise z.B. bei militaerischen Verbaenden zu loesen ist, oder bei den grossen Baumwollspinnereien in den Suedstaaten Nordamerikas, wo das Truck-System noch besteht. Man koennte sich, wenigstens theoretisch, vorstellen, dass ein solches Truck-System im groessten Umfange funktionierte, ohne die zahlreichen Missstaende, die bei Anwendung dieses Systems in Amerika vorgekommen sind, die aber, wie das Deputat-Lohnsystem in der deutschen Landwirtschaft beweist, nicht unvermeidlich sind. Die einfachste Methode um die Arbeitnehmer in dieser Weise in Sachwerten zu entlohnen, waere natuerlich, dass jedes einzelne Werk des Trusts von der Finanzabteilung der Direktion Gutscheine in der Stueckelung des Landesgeldes und in Hoehe der zur Lohnzahlung erforderlichen Betraege zugewiesen erhielte, und dass diese Gutscheine dann in folgendem Kreislauf kursierten:

 

1. Finanzabteilung,

2. Werk,

3. Arbeitnehmer,

4. Laden des Werks (Kantine, Werkskonsumverein),

5. Landwirtschaft bzw. dasjenige Werk, welches den Laden beliefert.

6. Bankabteilung.

 

      Ein Kreditgeschaeft oder ein Geldgeschaeft wuerde hier natuerlich nicht vorliegen, obwohl die Bankabteilung die betreffenden Werke mit den Gutscheinen belastet und waehrend des Zirkulationsprozesses jeder Gutschein genau so verbucht wird, wie bares Geld. Der Vorgang haette mit einem Geldgeschaeft ebenso wenig zu tun, wie etwa die Verteilung von Garderobenmarken in einem Theater. Selbstverstaendlich koennte der Trust anstatt der Gutscheine auch bares Geld verwenden. In manchen Faellen wuerde das sogar nicht unpraktisch sein, in Zeiten aber, wo die Geldzirkulation gehemmt ist, wuerde die oberste Finanzbehoerde des Landes mit Recht von dem Trust verlangen koennen, dass er das hier angedeutete System des bargeldlosen Verkehrs der einzelnen Werke untereinander einschliesslich der bargeldlosen Entlohnung solange wie moeglich beibehaelt. Es waere ein Unrecht gegenueber der Volkswirtschaft, wenn in kritischen Zeiten der Trust vom Zahlungsmittelvorrat des Landes Betraege beanspruchte, die er durch einen bargeldlosen Ausgleich der Volkswirtschaft erhalten koennte.

      Da hier kein Geldgeschaeft vorliegt, so kann man die Verwendung von Gutscheinen im internen Verkehr natuerlich auch nicht etwa als Schaffung zusaetzlicher Kaufkraft, d.h. als Inflation, bezeichnen.

      Die Verwendung der Gutscheine hat offenbar auf die Preise, soweit Einwirkungen von der Geldseite her in Frage kommen, gar keinen Einfluss; allenfalls koennte man sagen, dass bei dem Verfahren Zinsen gespart, dadurch die Produktionskosten vermindert und vielleicht die Preise ein wenig gesenkt werden.

      Nun nehmen wir an, dass aus irgendeinem Grunde sich der Trust aufloest. 100 verschiedene Produktionsstaetten, die vorher bargeldlos untereinander verkehrten, werden durch die Tatsache der Aufloesung gezwungen, in einen Geld- bzw. Kreditverkehr untereinander zu treten, obwohl im Grunde genommen weiter nichts geschehen ist, als eine einfache Eintragung in einem Notariatsregister. Waere es nun tatsaechlich erforderlich, nach der Aufloesung des Trusts die bestehende Einrichtung der bargeldlosen Abrechnung und insbesondere der bargeldlosen Entlohnung aufzuheben? Ist es tatsaechlich unvermeidlich, dass nach der Aufloesung des Trusts die Direktoren, der einzelnen Werke sich mit ihren Banken in Verbindung setzen muessen, um zu mehr oder weniger schweren Bedingungen die Barmittel fuer die Entlohnung zu erhalten und sich dabei der Gefahr auszusetzen, dass die Bank erklaeren muss, solche Barmittel nicht zur Verfuegung zu haben? Offenbar ist das nicht noetig; die bisherige Organisation koennte ganz ungestoert weiter funktionieren. Die fruehere Finanzabteilung der General-Direktion koennte als Zentrale, Abrechnungs- und Clearingstelle  bestehen bleiben, und die Entlohnung der Arbeitnehmer ginge dann genau so vor sich wie frueher. 

 

Mancher waere vielleicht versucht, die Verwendung von Gutscheinen zu Zwecken der Entlohnung jetzt als eine Inflation zu bezeichnen. Das waere aber offenbar nicht richtig. In Wirklichkeit wird durch die Beibehaltung des alten Verfahrens auch unter den veraenderten Rechtsverhaeltnissen nicht fuer eine Goldmark neue Kaufkraft geschaffen. Kein Geldstueck im Lande wird nach Beibehaltung des Verfahrens im Zirkulationsprozess einen anderen Weg gehen als vorher.

Man koennte das Verfahren eigentlich auch nicht als Geldschoepfung bezeichnen, dann was da geschaffen wird, ist ja gar kein Geld, sondern es sind nur Verteilungsmarken. Eine Verpflichtung, die Scheine anzunehmen, besteht fuer niemanden, vorausgesetzt, dass die Arbeitnehmer sich im Arbeitsvertrag mit dem Lohnsystem einverstanden erklaeren. Wahrend also produktionstechnisch und finanztechnisch alles beim Alten bleibt, wird doch infolge des veraenderten Rechtsverhaeltnisses der Unternehmungen zueinander eine andere Benennung der einzelnen Vorgaenge im Zirkulationsprozess der Gutscheine und im Abrechnungsverkehr der Werke untereinander erforderlich. Die alte Finanzabteilung wird die Gutscheine an die einzelnen Werke jetzt tatsaechlich in Form eines Darlehens gewaehren, sie wird dabei die Bedingung stellen muessen, dass entweder die Werke selbst, oder andere Werke fuer deren Rechnung die Gutscheine bei der Finanzabteilung innerhalb derselben Zeit einzahlen, die frueher zwischen der Ausgabe der Gutscheine und ihrer Rueckkehr zur Finanzabteilung im Durchschnitt verflossen ist. Die Selbstkosten der Finanzabteilung wird sie sich zweckmaessig in Form eines Zinses berechnen, den die Werke fuer das Gutschein-Darlehen zahlen muessen. Die Verpflichtung des Werkes gegenueber der Finanzabteilung wird durch einen Wechsel ausgedrueckt werden, den die Finanzabteilung auf das Werk zieht, und welchen das Werk akzeptiert. Dabei wird aber, wie schon bemerkt, ausdruecklich vereinbart, dass der Wechsel in Gutscheinen rueckzahlbar ist.

Einer besonderen Vereinbarung bedarf es zwischen den Werken und den Laeden, welche frueher dem Trust gehoerten und die nun selbstaendig sind. Zu den Laeden sollen hier der Einfachheit halber auch die Handwerker gezaehlt werden, die frueher vom Werk angestellt waren, und die nun ebenfalls selbstaendig sind. Die Laeden werden die Gutscheine der Werke nur dann annehmen koennen, wenn die Grosshaendler, ebenfalls frueher dem Trust angehoerend, sich bereit erklaeren, die Gutscheine anzunehmen. Hier ist aber eine Vereinfachung moeglich und wuenschenswert.

Wenn sich z.B. in einer Ladenkasse fuer 1.000 Goldmark Gutscheine angesammelt haben, dann ist es das Einfachste, der betreffende Laden gibt dem Werk, dessen Arbeitnehmer bei ihm gekauft haben, die Gutscheine zurueck, zieht dafuer einen Wechsel im gleichen Nominalbetrag auf das Werk und bezahlt seine Grosshaendler mit diesem Wechsel. Es waere auch moeglich, dass der Wechsel auf die Finanzabteilung gezogen und von einem Werk akzeptiert wird. Letzteres Verfahren wuerde vielleicht sogar vorzuziehen sein. Ein Wechsel, der von einem mit Auftraegen versehenen grossen Werk akzeptiert wird, ist unter allen Umstaenden ein im Grosshandel verwendbares Zahlungsmittel. Es wuerde dadurch gegenueber dem heute bereits bestehenden Zustand nichts geaendert. Der Ausgleich erfolgt bei diesem Verfahren natuerlich genau so wie frueher. Schon nach verhaeltnismaessig kurzer Zeit nimmt die Finanzabteilung das Clearing vor und die Rechnung geht mit plus/minus = zero auf. Sollte ein Werk anstatt der abzuliefernden Gutscheine etwa bares Geld abliefern, so bedeutet dies. dass die Gutscheine in den Verkehr gedrungen sind und dort das abgelieferte bare Geld verdraengt haben. Das ist nicht erwuenscht. Die Finanzabteilung muss fuer diesen Fall ermaechtigt werden, die Gutscheine mit Agio zurueckzukaufen und das Agio dem Werke zu belasten. Wenn das System in dieser Weise durchgefuehrt wird, wenn also Gutscheine ausschliesslich fuer Lohnzahlungen ausgegeben werden, und im uebrigen die Bezahlung der Halbfabrikate und der Rohstoffe mit Wechseln stattfindet, dann kann nicht nur von einer Inflation keine Rede sein, sondern es ist auch ein Missbrauch ganz ausgeschlossen.

Obwohl hier Zahlungsmittel geschaffen werden, indem man Wechsel diskontiert, liegt tatsaechlich weder eine Geldschoepfung noch eine Wechseldiskontierung vor.

 

24.7.24

 

U.v.Beckerath (V/K. 24.7.24)

 

      Die Wechseldiskontierung ist hier nur die aeussere Rechtsform, nicht aber der wirtschaftliche Inhalt. Wirtschaftlich ist der Fall vollkommen analog dem von Bendixen im "Wesen des Geldes" auf Seite 43 geschilderten, wo eine Schoepfung "klassischen" Geldes vorliegt. Es ist wichtig, sich das klar zu machen, weil sonst ein Irrtum ueber die wahre Natur der Vorgaenge fast unvermeidlich ist.

Angenommen, die Geschaefte der Finanzabteilung wuerden etwa von einer Reichsbank-Filiale uebernommen, was ja durchaus moeglich waere, dann wuerde die Rechtsform* des Verteilungsprozesses nur wenig geaendert. Obwohl wirtschaftlich immer noch eine einfache Verteilung von Sachguetern vorlaege, so wuerde doch rechtlich ein von der Reichsbank gewaehrter Kredit in die Erscheinung treten. 

(* Ich glaube, er hatte hier "Wirtschaftsform" sagen wollen. J.Z. 16.9.83.)

Waere es nun richtig, wenn die Reichsbank hier eines Tages erklaerte: "Wir haben keine Depositen und wollen auch die Notenpresse nicht in Anspruch nehmen, um die Wechseldiskontierung auszufuehren. Wir stellen daher die weitere Diskontierung von Wechseln ein!“?

      Offenbar wuerde ein solches Verhalten beweisen, dass die Reichsbank die Situation voellig verkennt. Eine solche Hemmung der Produktion durch die Reichsbank wuerde nicht viel anders zu bewerten sein, als wenn die Eisenbahnverwaltung den Werken auf einmal die Gestellung von Transportmitteln verweigert, um einer "Inflation" von Frachtkilometern vorzubeugen.

 

Gehen wir von dem konstruierten Schema zur Wirklichkeit ueber. Der Trust, von dem wir ausgegangen sind, existiert nicht und wird nie existieren. Der aufgeloeste Trust aber existiert, es ist die deutsche Volkswirtschaft! Wenn die Reichsbank, nach dem fuer sie im Jahre 1873 geschaffenen Notenprivileg allein fuer die Versorgung der Volkswirtschaft mit Zahlungsmitteln fuer die Auszahlung der Loehne in Frage kommt, und wenn die einzige Rechtsform, unter welcher diese Versorgung moeglich ist, die Diskontierung eines akzeptierten Warenwechsels ist, dann hat die Reichsbank offenbar kein Recht, die Diskontierung solcher Wechsel ploetzlich einzuschraenken, bloss weil sie solche Wechsel von Finanzwechseln nicht zu unterscheiden vermag. Die Schwierigkeit, ja die Unmoeglichkeit einer solchen Unterscheidung kann man der Reichsbank zugeben, ohne ihre Leitung deshalb fuer unfaehig erklaeren zu muessen. Wenn aber die Reichsbank besondere Gruende hat, oder zu haben glaubt die Diskontierung von Finanzwechseln ablehnen zu muessen, und wenn sie ferner erklaert, dass sie, um nur ja nicht hie und da einmal einen Finanzwechsel zu diskontieren, von jetzt an die Wechseldiskontierung ueberhaupt einschraenken werde, dann folgt daraus, dass die Volkswirtschaft eine so wichtige Funktion wie die Bereitstellung von Zahlmitteln fuer die Lohnzahlungen, der Reichsbank vorlaeufig nicht mehr anvertrauen kann, sondern dass sie sich die erforderlichen Zahlmittel auf andere Weise beschaffen muss.

Ein Vorgehen der Volkswirtschaft als Ganzes kommt hierbei natuerlich nicht in Frage. Die einzelnen Werke muessen sich untereinander in der Weise verstaendigen, als wenn sie zu einem grossen Trust gehoerten, der eine zentrale Abrechnungsstelle besitzt. Sie muessen sich ferner mit dem Einzelhandel in Verbindung setzen und mit diesem eine Verstaendigung darueber herbeifuehren, dass die auszugebenden Gutscheine dort wie bares Geld angenommen werden. Die Werke muessen sich ferner mit dem Grosshandel in Verbindung setzen, damit dieser sich mit dem ganzen Verfahren einverstanden erklaert. In den Grosshandel selbst braucht man die auszugebenden Gutscheine aber gar nicht eindringen zu lassen. Das schon oben angegebene Verfahren genuegt vollstaendig, wonach ein Einzelhaendler groessere Mengen von Gutscheinen, die sich bei ihm angesammelt haben, der Zentrale zurueckgibt, dafuer einen Wechsel auf die Zentrale zieht und diesen von einem Werk akzeptieren laesst, zu welchem der Grosshaendler Vertrauen hat, und das nach Moeglichkeit auch ein solches ist, von dem der Grosshandel Waren bezieht. Dann kann der Grosshandel die betreffenden Werke bei der Abrechnung mit ihren eigenen Akzepten bezahlen.

Die zu schaffende Zentrale hat dafuer zu sorgen, dass das ganze System einwandfrei und reibungslos funktioniert. Einwandfrei, das heisst in diesem Falle, dass die Zentrale den Werken in keinem Falle mehr Zahlungsmittel zur Verfuegung stellt, als fuer Lohnzahlungen gebraucht werden. Ferner muesste die Zentrale dafuer sorgen, dass die ausgegebenen Gutscheine innerhalb eines angemessenen Zeitraumes zu ihr zurueckkehren und nicht etwa in den Verkehr dringen. Die Forderung waere wohl berechtigt, dass ueber den Betrag der ausstehenden Gutscheine regelmaessig Veroeffentlichungen stattfinden, und dass dabei die Werke mit Namen genannt werden, welche die Gutscheine erhielten. Die Beschraenkung der Emission der Gutscheine auf Faelle, wo sie fuer Lohnzahlungen verwendet werden, ist ein wirksamerer Schutz gegen Missbrauch, als die Deckungsvorschriften der Reichsbank es nur je gewesen sind.

Um die Sache sozusagen anzukurbeln waere es wohl unvermeidlich, dass diejenigen Werke, welche die Einrichtungen dazu haben, z.B. Kantinen. Werkskonsumvereine, ihre Arbeitnehmer zum Teil in Gutscheinen entlohnten, welche in den betreffenden Verkaufsstaenden einloesbar sind. Da die Gutscheine immerhin nur an wenigen Verkaufsstellen verwendbar sind, ihr Nutzwert also ein geringerer ist, als derjenige baren Geldes, so muesste wohl gerechtigkeitshalber den Arbeitnehmern ein groesserer Nominalbetrag in Gutscheinen ausgezahlt werden, als wenn sie bares Geld erhielten. Man koennte vielleicht als Regel aufstellen, dass das Werk und die Arbeitnehmer sich in die Bankzinsen teilen, welche durch die Verwendung der Gutscheine erspart werden. Der Einzelhandel waere dann vor die Alternative zu stellen, entweder die Gutscheine ebenfalls anzunehmen, oder aber am Geschaeft dadurch zu -verlieren, dass die eigenen Verkaufseinrichtungen der Werke weiter ausgebaut werden. Bei dem starren Festhalten des Handels an veralteten Verkehrsformen und seiner Gewohnheit, immer nur auf aeusseren Zwang zu reagieren, wird ohne ein solches Druckmittel vom Handel nicht viel zu erreichen sein.

Wenn die Werke mit eigenen Verkaufseinrichtungen beginnen, die ausgegebenen Gutscheine also auch aeusserlich nichts anderes sind, als Verteilungsmarken, dann kann man mit Recht sagen, dass die Werke den ihnen fehlenden Bankkredit durch einen Kredit desjenigen Grosshaendlers ersetzt haben, der ihre Verkaufseinrichtungen beliefert.

Ein Verfahren, wie das hier vorgeschlagene, waere in der Wirtschaftsgeschichte nicht neu. Wenn vor dem Kriege viele Werke ihren Arbeitnehmern einen Teil ihres Lohnes in Anweisungen auf die Werkskonsumvereine auszahlten, so war dies genau das hier beschriebene Verfahren. Die Technik der Lohnzahlung war seinerzeit nicht immer die gleiche. Einzelne Werke. z.B. Krupp, zahlten mit Gutscheinen. Andere haendigten den Arbeitnehmern Lieferungsbuecher aus. in welchen von den Werkskonsumvereinen Waren bis zu einer bestimmten Hoehe gutgeschrieben wurden. Der Betrag der Einkaeufe wurde dann bei der naechsten Lohnzahlung verrechnet. Das sind natuerlich nur Aeusserlichkeiten. Durch eine Verstaendigung mit dem Einzelhandel halfen sich sehr viele Werke in Amerika bei den grossen Geldkrisen von 1893 und 1907.

 

Nachstehend folgt der Text einiger der ausgegebenen Gutscheine, entnommen der Zeitschrift "Sound Currency":

 

a) Clearinghouse-Scheine

 

Kredit-Ausschuss der New Yorker Clearinghouse-Vereinigung.

N.Y., .................1893

 

Hierdurch wird bestaetigt dass,

 

.................................(Name)

beim oben bezeichneten Ausschuss Sicherheiten gemaess dem Beschluss vom 15.6.1893 hinterlegt hat. Auf Grund dieser Sicherheiten wird gegenwaertiges Zertifikat ausgegeben und von jedem Mitglied der Vereinigung als 20.000 $ bei Verrechnungen angenommen.

 

Der oben bezeichnete Ausschuss wird Sicherheiten im aufgedruckten Betrage freigeben, wenn das Zertifikat durch ihn verrechnet ist.

 

...................

 

b) Verrechnungsschein mit dem Versprechen spaeterer Einloesung

 

Verrechnungsschein der Associated Banks of Danville, Va.

 

Danville, den 14.8.1893.

 

Jede der unterzeichneten Banken wird nach Ablauf von 90 Tagen nach obigem Datum dem Inhaber dieses Scheines 10 $ nebst 6 % Zins p.a. auf 90 Tage bezahlen. Dieser Schein ist uebertragbar und kann nach Wahl bei irgend einer der unterzeichneten Banken eingeloest werden.

 

Fuer die Einloesung haftet das gesamte Kapital aller 6 Banken. Dieses Kapital ist 1/3 mehr wert als alle ausgegebenen Scheine zusammen genommen.

 

Folgen die Namen von 6 Banken.

 

 

c) Gutscheine fuer Lohnzahlungen.

 

Buffalo, .............1893.

No. 1352

 

Marine Bank

 

soll dem Inhaber 5 $ bezahlen durch Verrechnung ueber das Clearinghouse von

Buffalo und unter Belastung des Lohnzahlungskontos von  (Name)

 

Bestaetigt durch

The Marine Bank of Buffalo

Unterschrift.

 

 

 

 

 

Richmond Locomotive and Machine Works

Richmond, Virginia, 12.8.1893.

 

l $

 

Dieser Schein wird auf Verlangen nach 60 Tagen von den Richmond

Locomotive and Machine Works mit 6 % p.a. Zinsen eingeloest. Er ist fuer

Lohnzahlungen ausgegeben.

 

No. 239.                                       Unterschrift

 

                                               .............

 

 

 

 

Gutschein.

 

North Adams,Mass.l5.8.93.

 

AN ALLE KAUFLEUTE ODER LADENINHABER VON NORTH ADAMS.

 

 

Bitte haendigen Sie dem Inhaber 10 $ aus in Form von Waren, Kredit oder

Geld.

 

Jede Bank der Stadt nimmt bei Einzahlungen diesen Gutschein an.

 

                                               ARNOLD PRINT WORKS.

 

 

 

 

Gutschein.

 

Minneapolis, Minn. 1.9.1893.

 

Dem Inhaber zahlen wir auf Verlangen 5 Dollars fuer gekauftes Getreide.

Dieser Gutschein ist nur gueltig, wenn er von dem Kassierer G.M.Amsden

unterschrieben ist und wird in diesem Falle durch Vermittlung der

Schwedisch-Amerikanischen Bank zu Minneapolis eingeloest.

 

Minneapolis und Northem

Elevator Co.

 

 

 

Einige der amerikanischen Gutscheine wurden mit Zinsen eingeloest, andere nicht. Ein verzinsliches Zahlmittel ist in allen Faellen angebracht, wo die Ausgabestelle Wert darauf legt, dass das Zahlmittel moeglichst bald aus dem Verkehr verschwindet.

 

Koerperschaften oeffentlichen Rechts haben daher auch oft, wenn sie in die Lage kamen, Notgeld auszugeben, dieses verzinslich gemacht, zuletzt wohl die Vereinigten Staaten waehrend des Buergerkrieges, wo neben den unverzinslichen Greenbacks auch verzinsliches Notgeld ausgegeben wurde.

 

Die aeussere Form fuer Gutscheine, die Hoehe der bei der Einloesung zu verguetenden Zinsen etc., das sind alles Aeusserlichkeiten, die mit der Sache selbst nicht viel zu tun haben und bei den verschiedenen Werken auch sehr verschieden sein koennten. Immerhin ist es vielleicht nicht ueberfluessig, hier ein Muster zu einem solchen Gutschein vorzuschlagen, der evtl. auch vom Einzelhandel angenonnen werden koennte.

 

 

Dieser

Gutschein

wird mit

10, in Worten: Zehn Goldmark

 

zuzueglich der umstehend angegebenen Zinsen in Zahlung genommen an allen Kassen

1.) der ..........Bank

2.) der Firma X

und ausserdem von allen Firmen und Geschaeften, welche sich durch Aushang

in ihren Geschaeftslokalen dazu bereit erklaert haben.

 

Eine Verpflichtung zum Unwechseln dieses Gutscheines in Geld besteht nicht.

 

1.7.1924.

 

 

Rueckseite des Gutscheines.

 

Wenn der Schein bei einer der umseitig angegebenen Stellen in Zahlung

gegeben wird, so erfolgt die Annahme mit

 

M 10,20, wenn die Zahlung im August 1924 erfolgt,

M 10,40,   "   "    "      " September 1924

M 10,60,   "   "    "      " Oktober 1924

 

Eine hoehere Bewertung als mit M 10,60 findet in keinem Falle statt.

 

 

Ganz kleine Abschnitte sollten nicht verzinslich sein, die Rechenarbeit wird sonst zu gross. Es sollte aber jedem Gelegenheit gegeben werden, unverzinsliche, kleine Abschnitte gegen groessere, verzinsliche umzutauschen.

(Anmerkung von J. Z., 16.9.83; Urspruenglich waren in diesem Gutscheintext die Festmarkbank und die Deutschland-Rueckversicherungs-A.G. genannt. Diese waren also Gegenstand des urspruechlichen vollstaendigen Entwurfs, von dem hier nur ein Teil vorliegt.)

      Beinahe ueberfluessig zu bemerken ist es, dass mit den Gutscheinen ein regelrechter Spar- und Depositenverkehr eingerichtet werden koennte, genau so, wie es etwa im vorigen Jahre viele Sparkassen und Banken mit den Goldanleihestuecken gemacht haben, die ja auch kein Geld waren, aber doch vielfach als Geldersatz verwendet wurden. Aus solchen Depositen koennten dann sogar regelrecht Darlehen gewaehrt werden, genau wie aus anderen Depositen

auch.

      Die Gutscheine wuerden sich auch dazu eignen, um die Praemien an Versicherungsanstalten zu bezahlen. Natuerlich muessten die Anstalten da fuer die Bedingung stellen, dass sie Entschaedigungen ebenfalls mit Gutscheinen bezahlen koennen, falls Ihnen andere Zahlungsmittel nicht zur Verfuegung stehen. Die z. Zt. wahrscheinlich einige Dutzend Millionen Goldmark betragenden Praemienrueckstaende wuerden dadurch wahrscheinlich sehr schnell mobilisiert

Werden.

      Es verlautet, dass einige und zwar der groessten deutschen Werke sich tatsaechlich bemuehen, in einer der hier beschriebenen aehnlichen Form den ihnen versagten Bankkredit durch einen Kredit des Einzelhandels und des Grosshandels zu ersetzen. Man kann diesen Bestrebungen nur einen moeglichst raschen und vollstaendigen Erfolg wuenschen.

 

30.7.24.

 

U.v.Beckerath (30.7.24., V/Bz.)

 

Zu pruefen waere jetzt noch, ob das vorgeschlagene Verfahren gesetzlich zulaessig ist. In Betracht kommt zunaechst die Gesetzgebung ueber das Notgeld. Nach dem Gesetz ueber das Notgeld vom 17.7.22 sind als Notgeld anzusehen und verboten: Marken, Muenzen, Scheine oder sonstige Urkunden, die auf einen Geldbetrag lauten und im Zahlungsverkehr als Ersatz fuer das vom Reich, von der Reichsbank oder einer Privatnotenbank ausgegebene Geld verwendet werden. Diese Bestimmung ist sehr unklar. Nimmt man sie woertlich, dann faellt der gesamte durch Austausch von Wechseln und Schecks sich vollziehende Zahlungsverkehr unter das Gesetz und waere eigentlich schwer zu bestrafen. Ein hoher Beamter des Reichsfinanzministeriums, dessen Aufsaetze sich sonst durch Klarheit, Gruendlichkeit und sehr umfassende Gesetzeskenntnis auszeichnen, vertritt tatsaechlich diesen Standpunkt in einem im Juli erschienenen Aufsatz, worin er schreibt:

 

"Voraussetzung ist lediglich eine Urkunde, die auf einen Geldbetrag lautet und im Zahlungsverkehr als Geldersatz verwendet wird. Die Art der Verpflichtung aus der Urkunde ist nicht entscheidend. Es fallen darunter sowohl die Schuldverschreibungen auf den Inhaber wie die Inhaberzeichen des § 807 BGB. Auch Anweisungen, Schecks, Wechsel sind  bei Verwendung als Geldersatz als Notgeld anzusehen."

(Hier fett.)

Moeglicherweise ist das tatsaechlich der Standpunkt der Regierung. Ein Gericht wird sich aber auf diesen Standpunkt nicht stellen koennen und wird bei der Auslegung des Gesetzes den Zweck nicht ausser Acht lassen, der damit verfolgt werden sollte. Es war natuerlich nicht der Zweck des Gesetzes, Bestimmungen zu treffen, deren Anwendung mit einem Schlage das ganze deutsche Wirtschaftsleben lahm legen wuerde, die daher in Wirklichkeit fortwaehrend uebertreten werden und jeden deutschen Unternehmer zum Verbrecher machen muessten.

Der Zweck des Gesetzes war vielmehr, den Gemeinden und anderen Stellen, die Notgeld ausgegeben hatten, es unmoeglich zu machen, sich dadurch auf sehr billige und einfache Weise unverzinsliche Kapitalien zu beschaffen. Man wird also den Begriff Notgeld anders definieren muessen, als in dem zitierten Artikel geschehen ist und wird sagen muessen: Notgeld im Sinne des Gesetzes sind Wertzeichen, die gegen Landesgeld umtauschbar sind, sobald die ausgebende Stelle entweder das zum Untausch benoetigte Landesgeld besitzt oder aber, wenn auch vielleicht mit einigen Schwierigkeiten, beschaffen kann. Tatsaechlich ist auch auf allen Notgeldzeichen eine solche oder aehnliche Erklaerung aufgedruckt, oder aber die ausgebende Stelle hat eine diesbezuegliche Erklaerung in der Presse veroeffentlicht. Ein dem Notgeld wesentliches Merkmal ist also die Umtauschbarkeit in Landesgeld, sowie die "Not" behoben ist.

Wenn die Ansicht des Regierungsrates richtig waere, dann wuerde das Gesetz von Gesetzgeber sicherlich nicht als ein Gesetz ueber das Notgeld bezeichnet worden sein, sondern etwa als: Verordnung ueber den ausschliesslichen Gebrauch von Reichsgeld im Zahlungsverkehr oder so aehnlich.

Die Verpflichtung zur Einloesung ist nun bei den hier vorgeschlagenen Gutscheinen grundsaetzlich ausgeschlossen. Sie sind reine Verrechnungsmarken, gewissermassen ein Mittelding zwischen Anweisung und Scheck. Sollten sich aber tatsaechlich formale Schwierigkeiten ergeben, so waeren sie sehr leicht durch eine kleine Formalitaet zu beseitigen. Man stellt die Gutscheine dann naemlich nicht auf Reichsmark aus. sondern auf Markgewicht Feingold, wobei ein Markgewicht = 1:2,79 g  ist. Ferner bemerkt man auf den Gutscheinen, dass sie nur zur Ausgleichung von auf Feingold lautenden Forderungen dienen sollen, nicht aber zum Bezuge von metallischem Gold berechtigen. Anscheinend ist die Regierung zufrieden, wenn ihrer Meinung ueber die Bedeutung eines Gesetzes durch solche Formalitaeten genuege geleistet wird. Als Symptom dafuer kann man die Bemerkung in dem mehrfach erwaehnten Aufsatz auffassen, wonach Roggenscheine. die auf Roggen lauten, kein Notgeld sind, wenn sie aber auf den Wert von Roggen lauten, unter das Notgeldgesetz mit seinen schweren Strafen fallen. Der Regierungsrat, welcher den Aufsatz verfasste, hat wahrscheinlich die Ansicht seines Ministeriums wiedergegeben.

 

In Betracht kaeme noch die Bestimmung der Gewerbeordnung, wonach "Verabredungen zwischen den Gewerbetreibenden und den von ihnen beschaeftigten Arbeitern ueber die Entnahme der Beduerfnisse der Letzteren aus gewissen Verkaufsstellen" nichtig sind. Zunaechst hat das nicht viel zu bedeuten. Nichtig ist nicht etwa dasselbe wie strafbar. Nichtig heisst nur, dass keine der beiden Parteien die andere auf Erfuellung des Abkommens verklagen kann. Andererseits aber sagt der § 115 ausdruecklich:

"Es ist gestattet, den Arbeitern Lebensmittel fuer den Betrag der Anschaffungskosten etc., Feuerung, Beleuchtung, regelmaessige Bekoestigung, Arzneien und aerztliche Hilfe etc. fuer den Betrag der durchschnittlichen Selbstkosten unter Anrechnung bei der Lohnzahlung zu verabfolgen".  Dieser § kommt hier in Frage. Ein direkter Gewinn aus dem Warenverkauf ist fuer das Unternehmen natuerlich ausgeschlossen. Wenn das Werk in seinen Verkaufsstellen den Arbeitnehmern tatsaechlich bessere und billigere Waren liefern will, als sie anderswo fuer das gleiche Geld bekommen, dann ist ein Gewinn aus dem Verkauf der Waren gar nicht moeglich. Auf gute Qualitaet der gelieferten Waren muss das Werk aber besonderen Wert legen. Anderenfalls waere von Seiten der Arbeitnehmer ein in diesem Falle ganz berechtigter Widerstand gegen die Einrichtung zu erwarten.

 

 

First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 434 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 21-28.